Schon vor Jahren haben Audi, BMW und Daimler die Diskussion über Dieselfahrverbote vorausgeahnt. Nun bereitet die EU-Wettbewerbsbehörde die Rechnung vor.
Wolfsburg, Brüssel, Düsseldorf, MünchenMargrethe Vestager macht keine halben Sachen. Seit fünf Jahren ist die Dänin EU-Kommissarin für Wettbewerb. Sie hat Rekordstrafen gegen Weltkonzerne wie Apple oder Google verhängt und Ermittlungen gegen Mitgliedsländer wegen ihrer Steuerpraktiken eingeleitet. Nun muss sich die deutsche Autoindustrie auf Post von Vestager einstellen.
Nach Informationen des Handelsblatts will die europäische Wettbewerbsbehörde noch in diesem Frühjahr formelle Beschwerdemitteilungen an Audi, BMW, Daimler und Volkswagen verschicken. Im sogenannten „Statement of Objections“ werden die EU-Beamten erstmals detailliert aufführen, welche Vorwürfe sie den Autoherstellern in Sachen illegaler Absprachen bei Dieselmotoren machen.
An Bußgeldern führt dann kaum noch ein Weg vorbei. Die Strafen können maximal bei zehn Prozent des Jahresumsatzes der beschuldigten Unternehmen liegen. Audi, BMW, Daimler und Volkswagen kommen gemeinsam auf fast 500 Milliarden Euro Jahresumsatz.
Dem Handelsblatt liegen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaften Braunschweig und München zur Dieselaffäre vor. Sie dokumentieren eine jahrelange Zusammenarbeit der Hersteller beim Thema Abgas und eine verschwörerisch wirkende Sprache.
Bereits 2007 hat ein geheimes Krisentreffen in München stattgefunden. Teilgenommen hat der versammelte Sachverstand der deutschen Autoindustrie. BMW hatte seine Dieselexperten geschickt. Auch Abgesandte von Daimler-Chrysler waren gekommen. Für Volkswagen nahmen sowohl Vertreter der Kernmarke an dem Treffen teil als auch die besten Köpfe aus der Motorenentwicklung von Audi.
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Und doch konnten die Ingenieure nicht die Aufgabe lösen, die ihnen aufgetragen war: den Diesel sauberer zu machen. Die Präsentation vom 4. April 2007 in München zeigt das Unvermögen der Teilnehmer auf bunten Balken: Deutsche Dieselmotoren stießen zu viel Stickoxid aus, viel zu viel.
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Auf dem Papier hatten die Ingenieure längst eine Lösung dafür gefunden. Ein Harnstoffgemisch, Adblue genannt, sollte nach dem Verbrennungsprozess eingespritzt werden. Damit wurden die Abgase gebunden und ihr Ausstoß reduziert.
Nur: In der Anwendung versagte das System. Für eine effektive Reinigung der Abgase waren im Extremfall bis zu 8,5 Liter Adblue pro 1000 Kilometer nötig. Bei mehr als einem Liter aber kam es zu Ablagerungen, die Motoren versotteten, das Fahrzeug nahm Schaden.
Und so begannen die deutschen Fahrzeughersteller den großen gemeinsamen Schmu. Fortan würden sie den Einsatz von Adblue drastisch begrenzen. Dadurch fuhren die Autos zwar noch schmutziger, aber wenigstens blieben sie nicht stehen. Gescheitert an der technischen Herausforderung, machten sich die Konzerne parallel an eine politische: Irgendwie musste man den plötzlich viel niedrigeren Bedarf an Adblue den zuständigen Behörden erklären.
Strafmaß
10 Prozent vom Jahresumsatz kann die europäische Wettbewerbsbehörde als Kartellstrafe verhängen.
„Hallo die Herren, anbei der von BMW, DC (Daimler-Chrysler) und Audi gemeinsam erarbeitete Vorschlag zur Plausibilisierung der Deckelung der Adblue-Dosierung. Mitgewirkt haben Kollegen der Aggregateentwicklung sowie der Zulassung. Die Treiberrolle haben die Kollegen von BMW.“
So begann eine Mail nach dem Krisentreffen 2007. Die Details der Präsentation in München sollten „keineswegs der Behörde gezeigt werden!“, warnte der Verfasser. Dann folgten Argumente, mit denen die Konzerne mögliche Fragen vom Kraftfahrt-Bundesamt oder ähnlich lästigen Einrichtungen abwiegeln sollten. Die Mail endete mit der Bitte um „Feedback (nächste Telko), um bis Mitte Mai ein erstes Präsentationskonzept für die Behörden vorzubereiten“.
Verdacht auf Kartellbildung
BMW bestreitet eine solche „Treiberrolle“ wie auch eine Absprache. Das Unternehmen habe keine Anhaltspunkte, dass es Vereinbarungen zur Deckelung der Adblue-Dosierung gab, teilte ein Sprecher mit. „Allerdings ist eine Begrenzung der maximalen Dosiermenge aus technischer Sicht unter anderem erforderlich, um Ablagerungen am Dosiermodul zu verhindern.“ Auch mit dieser technisch notwendigen Limitierung seien zu jedem Zeitpunkt alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt worden.
So interpretiert jeder die Vergangenheit auf seine Weise. „Bei uns wird nicht manipuliert“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche, als beim Konkurrenten Volkswagen im September 2015 die Abgasaffäre öffentlich wurde. Diese Position vertreten die Schwaben weiterhin.
Doch die Behörden vermuten: Die deutschen Fahrzeughersteller versagten nicht nur alle gemeinsam beim Reinigen ihrer Dieselabgase, sie machten auch alle gemeinsame Sache, um dieses Unvermögen zu vertuschen. Juristisch gesehen gesellt sich damit zum Vorwurf des Betrugs der Verdacht auf Kartellbildung. Das kann teuer werden.
Zehn Prozent vom Jahresumsatz können die EU-Kartellwächter maximal als Strafe verhängen, wenn sie unerlaubte Absprachen zwischen Wettbewerbern erkennen. Bei BMW wäre die Richtgröße 99 Milliarden Euro, bei Daimler 167 Milliarden Euro, bei Volkswagen 230 Milliarden Euro. Im Raum stehen damit in Summe Bußgelder von nahezu 50 Milliarden Euro. Und dies in einer Zeit, in der die Konzerne jeden Cent brauchen, um die überfälligen Investitionen in elektrische Antriebssysteme und digitale Innovationen zu finanzieren.
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Die Brüsseler Wettbewerbshüter sind inzwischen tief eingedrungen in die mutmaßlichen Absprachen des Abgas-Pakts. Nach langen Vorermittlungen hat die EU-Kommission im vergangenen September eine vertiefte Untersuchung eingeleitet. Durch eine solche Kungelei könnte die technische Fortentwicklung behindert worden sein, argwöhnt Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Die Dänin ist bekannt für ein rigoroses Vorgehen – und sie treibt ihre Mitarbeiter an, um noch in diesem Jahr Ergebnisse präsentieren zu können. Die Beamten kommen gut voran: In informierten Kreisen wird damit gerechnet, dass die Behörde noch in diesem Frühjahr eine formelle Beschwerdemitteilung an die Unternehmen verschickt. In diesem „Statement of Objections“ listet sie ihre Vorwürfe detailliert auf und gewährt den Firmen erstmals Einblick in die Ermittlungsakten. An Bußgeldern führt dann kaum noch ein Weg vorbei.
Die Kommissionsbeamten haben ihren Untersuchungsgegenstand inzwischen auf Themen eingegrenzt, in denen es die eindeutigsten Hinweise auf illegale Absprachen gibt: Die in den Mails und Präsentationen diskutierten Abmachungen zur Einspritzung von Adblue gehören dem Vernehmen nach ebenso dazu wie Absprachen zur Größe der Adblue-Tanks.
Daneben gibt es auch deutliche Hinweise auf Rechtsverstöße bei der Einführung von Partikelfiltern für Otto- und Dieselmotoren. Die hausinternen Juristen raten Vestager dazu, sich auf eindeutige Rechtsbrüche zu beschränken. Schließlich muss die Entscheidung gerichtsfest sein. Die Bußgelder dürften laut Kartellexperten allerdings auch dann in die Milliarden gehen, wenn sich die Kommission auf wenige Themen beschränke.
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Billiger davonkommen könnten die Unternehmen, wenn sie sich auf einen Vergleich mit der Kommission einließen. Daran habe aber BMW bislang kein Interesse gezeigt, heißt es in den Kreisen. Für die Kommission ist ein Settlement weniger attraktiv, wenn es das Verfahren gegen eine der Parteien fortsetzen muss – denn das bedeutet doppelte Arbeit. Die Behörde wollte sich auf Anfrage nicht zu Details der Untersuchung äußern.
Dem Handelsblatt liegen Unterlagen vor, die ihr zur Beweisführung gegen Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen dienen könnten. Tausende von E-Mails, umfangreiche Power-Point Präsentationen und handschriftliche Notizen zeichnen das Bild einer Branche, die bei der Vertuschung ihres technischen Versagens zusammenhielt wie Pech und Schwefel.
„Meine Einschätzung: Ganz ohne Bescheißen werden wir es nicht schaffen“, schrieb ein Audi-Manager am 22.1.2008 unter der Betreffzeile „Adblue-Verbrauch“ an mehrere Kollegen. Diese Einschätzung wurde offenbar geteilt – und die Info kam gleich in den Giftschrank.
„Bei der OEM Taskforce Adblue-Ablagerungen wurde nochmals bestätigt, diese Thematik in keiner Form gegenüber den US-Behörden EPA und Carb zu erwähnen“, hieß es in einem Schreiben eines hochrangigen Audi-Entwicklers vom 3. November 2008 an Führungskräfte des VW-Konzerns. Der Absender berief sich bei der Bewertung auch auf die Einschätzung von Mitarbeitern des Daimler-Konzerns, die bei einem Krisentreffen anwesend waren. Ihnen dankte der Audi-Manager „für ihre Unterstützung“. Die drei Unternehmen äußerten sich nicht zu der von den Mitarbeitern beschriebenen Geheimhaltung gegenüber den Behörden.
Hersteller entschieden sich für billigste Lösung
Die Deutschen ließen sich von ihrer Dieselnot nicht bremsen. Vor allem Volkswagen und Audi hatten Nachholbedarf in den USA, dem damals größten Automarkt der Welt. Dort aber war der Diesel als Dreckschleuder verschrien. Gerade die in den USA so beliebten großen Sportwagen würden als Diesel schrecklich stinken, so die Wahrnehmung. Volkswagen und Audi starteten darauf ihre „Clean-Diesel“-Kampagne. Mit viel Marketingetat und lustigen Werbefilmchen bauten sie Vorbehalte ab und machten den Diesel autosalonfähig. Der Verkauf zog stark an.
„Es gibt diverse Beweise für geheime Absprachen zwischen Autobauern“
Doch im Hintergrund herrschte nervöses Treiben. Eigentlich, so die Vorschriften in den USA, durfte die Harnstofflösung beim routinemäßigen Termin in der Werkstatt nachgefüllt werden, wenn auch der Ölwechsel anstand. Zumindest Audi überlegte deshalb, ob man die Kunden nicht auf diese Weise einfangen könne. „Dann müssen wir notfalls das Ölwechselintervall anfassen, analog Toyota“, schrieb ein Manager dem anderen am 26.1.2009. Der japanische Konkurrent ließ seine Kunden schließlich alle 5000 Meilen die Werkstätten anlaufen. Weil Audi aber drei Jahre kostenlosen Service anbot, wären mehr Werkstattbesuche teuer geworden. Die Deutschen entschieden sich gemeinsam für die billigste Lösung.
Audi, BMW, Daimler, Porsche und VW kamen zu der Zeit überein, viel kleinere Adblue-Tanks in die Wagen einzubauen als nötig. Gleichzeitig programmierten zumindest Volkswagen und Audi ihre Motoren so, dass sie erkannten, ob sich die Fahrzeuge auf der Straße befanden oder auf einem Teststand – zum Beispiel bei einer Umweltbehörde.
Dort schaltete die Software in den sauberen Modus. Da man auf diese Weise nun weniger Platz für Adblue-Tanks brauchte, sparte dies sowohl Gewicht als auch Kosten. Spuren wollte man freilich nicht hinterlassen. Aus einer Mail eines Entwicklungschefs am 1. April 2010 in Paris zur Deckelung der Adblue-Zufuhr: „Selbstbeschränkung wird befürwortet (Keine Protokollierung und Dokumentierung der Details!).“
Und die Abgase? Die würden wohl zum Problem werden, wussten die Ingenieure schon früh. Wie genau die Autohersteller verfolgten, was in den Innenstädten passierte, wenn Millionen von Dieselfahrzeugen das Zigfache der erlaubten Stickstoffe ausstießen, zeigt eine Präsentation von Audi von Juli 2010. Zitat: „Die EU-Luftreinhalterichtlinien schreiben seit Anfang dieses Jahres eine Verschärfung der NO2-Immissionen auf einen jährlichen Richtwert von 40 µg/m³ vor.“
Die Ingenieure notierten die Folgen ganz nüchtern. Die EU-Staaten hätten allerdings nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen, um diese Werte einzuhalten. „Dies zeigt sich daran, dass in 2008 in 21 EU-Mitgliedsstaaten in 270 Städten die NO2-Grenzwerte überschritten wurden. In London wurde der Stundengrenzwert heute schon mehr als 18 Mal überschritten.“
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BMW betonte, dass es seit 2007 eine öffentliche Diskussion zu drohenden Fahrverboten gegeben habe: „Deshalb lag es nahe, dass sich auch die OEMs (die Hersteller, Anmerkung der Redaktion) mit diesen Fragestellungen und möglichen Lösungen beschäftigten.“ Daimler und VW äußerten sich nicht dazu.
Die Fahrzeughersteller schrieben selbst auf, dass ihre Dieselmotoren wohl einen Anteil an der Luftbelastung hatten. Die Ermittlungsbehörden haben inzwischen umfangreichen Chroniken erstellt. Auswertungen von Präsentationen wie der aus dem Jahr 2010 zeigen, wo genau die Berichtswege durch die verschiedenen Konzerne liefen und wie weit oben die Kenntnis der Dieselmanipulationen angesiedelt war. Laut dieser Darstellung endete sie zumindest bei Volkswagen und Audi erst mit dem Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn und Rupert Stadler. Beide bestreiten eine Kenntnis von Manipulationen oder Absprachen.
Die US-Umweltbehörden machten mit Volkswagen einen kurzen Prozess. Der Konzern unterschrieb ein Schuldanerkenntnis. In Deutschland laufen Tausende von Klagen. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete gegen alle BMW, Daimler und Volkswagen Rückrufe an, damit sie Dieselmotoren nachrüsten.
Daimler schert aus
Vieles in der Abgasaffäre hielten die Konzerne bisher im Dunkeln. Bei Licht besehen zeigt sich immerhin eine zutreffende Vorhersage. Die viel zu hohen Abgaswerte würden eine „erneute Dieseldiskussion entfachen, da der Diesel-Pkw als Hauptursache der NO2-Überschreitung in den Städten gesehen wird“, hieß es in einer Audi-Präsentation im Juli 2010. Und weiter: „Als Lösung wird die möglichst schnelle Einführung einer wirksamen NO2-Abgasnachbehandlung gesehen.“ Diese solle nicht nur auf dem Teststand den Ausstoß von Stickoxiden verringern, sondern auch im Straßenverkehr.
Schön wäre das gewesen, doch die Ingenieure kamen nur schleppend voran. Es dauerte vier Jahre, bis ein Konzern aus der Runde ausscherte. „Daimler hat die Absprache der Entwicklungsvorstände, dass alle OEMs den SCR-Tank minimal belassen (…) aufgekündigt“, meldete ein Audi-Manager seinen Mitarbeitern im März 2014. Fortan verbaute Daimler größere Tanks, die eine höhere Einspritzung von Adblue in den Abgasstrom erlaubten. Später tat dies auch BMW. Inzwischen hatte man die technischen Probleme gelöst.
Mercedes-HerstellerDruck auf Daimler in Dieselaffäre steigt
Die Makel der Vergangenheit wurden die deutschen Fahrzeughersteller trotzdem nicht mehr los. Ob sich die VW-Mitarbeiter bei ihren Kollegen ab und zu darüber ausweinten, wie nahe die US-Behörden ausgerechnet ihrem Konzern beim Dieselschummeln kamen? Zu den Details ihres Vorgehens schweigen sich alle Konzerne aus. Fest steht, dass zumindest Daimler die Nähe zur vermeintlichen Konkurrenz nach einigen Jahren zu heiß wurde.
Im Februar 2014 eilten die Stuttgarter zum Bundeskartellamt, um der Behörde „mögliche Vergehen“ in ihren Häusern anzuzeigen. Zwei Jahre später folgte Volkswagen. BMW, 2007 von Audi als „Treiber der Adblue-Declaring“ beschrieben, bestreitet bis heute Absprachen und technische Manipulationen.
So wie sich vorher die Zusammenarbeit lohnte, mag sich zumindest für Daimler und Volkswagen auch ihr Ende auszahlen. Die Brüsseler Wettbewerbshüter können Bußgelder reduzieren oder ganz streichen, wenn ein Kartellteilnehmer sich als Kronzeuge andient. Vier Jahre dauern die Ermittlungen der EU-Kartellbehörde nun schon. Auf vielen der belastenden Unterlagen prangt neben dem Logo auch das Motto von Audi: Vorsprung durch Technik. Mehr davon hätte sicher geholfen. Aber es war ja nur ein Werbespruch.
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