Sexspielzeug oder ein Handy: Viele erhalten mysteriöse Pakete von Amazon, die sie nicht bestellt haben. Doch was ist der Hintergrund des Phänomens – und was sollten Empfänger tun?
TMN
Paket (Symbolbild)
Menschen in ganz Deutschland wundern sich über Pakete, in denen Vibratoren, Smartphones, Ladekabel oder Handyhüllen stecken – die sie nie angefordert haben, für die sie aber auch nicht zahlen müssen.
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„Weder haben sie etwas bestellt, noch wurden sie von Freunden oder Verwandten beschenkt, noch handelt es sich um Fehlläufer“, beschreibt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen das Phänomen der mysteriösen Pakete in einer Pressemitteilung. „Einen Hinweis auf den Absender gibt es nicht: obwohl in den Sendungen auch mal ein Fernglas oder ein neues Smartphone für rund 200 Euro liegt.“
Ein Düsseldorfer hatte die Verbraucherzentrale erst vor Kurzem auf solche unerwünschten Sendungen aufmerksam gemacht. Er hatte ein Paket mit Amazon-Logo erhalten, in dem ein neues Smartphone von Huawei im Wert von rund 200 Euro lag – ohne Bestellschein oder Rechnung. Er fürchtete, dass Hacker sich Zugriff auf sein Konto verschafft haben könnten, doch dort wurde nichts abgebucht.
Fake-Bewertungen für Amazon
Auch auf Blogs und in sozialen Netzwerken berichten Nutzer von Überraschungspaketen mit diversen Inhalten – die Erfahrungsberichte offenbaren, dass bereits seit längerer Zeit anonyme Pakete verschickt werden. „Es gibt eine Dunkelziffer, wie oft das passiert, da der Großteil der Empfänger sich weder bei der Verbraucherzentrale noch bei Amazon meldet, wenn er ein Paket erhält, in dem zudem oft nur Kleinigkeiten sind“, sagt ein Pressesprecher der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zum SPIEGEL.
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Dem „Amazon Watchblog“ zufolge verschickt Amazon zwar seit dem vergangenen Jahr kostenlose Produktproben an Amazon-Kunden, die sich aufgrund ihrer bisherigen Bestellungen und ihrer hinterlegten Kundendaten für ein neues Produkt interessieren könnten. Doch im Fall der unerwünschten Warensendungen handelt es sich nicht um eine offizielle Marketingaktion.
Klar ist der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zufolge bisher nur, dass die Pakete nicht von Amazon selbst, sondern von unabhängigen Händlern stammen, die ihre Produkte über Amazons Marketplace vertreiben. „Eine der Vermutungen: Händler aus Fernost eröffnen einen Zweit-Account bei Amazon unter den Namen der Adressaten. Darüber wickeln sie dann den Verkauf von Artikeln ab“, so die Verbraucherschützer. „Ihr Vorteil: Die Artikel stiegen so im angezeigten Verkaufs-Ranking von Amazon. Obendrein seien positive Bewertungen des Artikels oder Shops möglich.“
Eine weitere These: Händler wollen ihr bei Amazon angemietetes Lager leeren, indem sie Ladenhüter einfach an zufällig ausgewählte Adressen verschicken, statt sie nach Asien zurückzusenden.
Amazon versichert, keine Adressen weitergegeben zu haben
Die Empfänger sollten sich beim Kundenservice von Amazon melden. „Wir gehen jedem Hinweis von Kunden nach, die unaufgefordert ein Paket erhalten haben, da dies gegen unsere Richtlinien verstößt“, heißt es in einer Stellungnahme von Amazon Deutschland. „Verkäufer, die gegen unsere Richtlinien verstoßen, werden gesperrt, die Zahlungen werden zurückgehalten, und wir leiten entsprechende rechtliche Schritte ein.“ Verkäufer hätten weder Namen noch Adressen von Amazon erhalten, versichert der Konzern dem SPIEGEL.
Auffällig ist: Unter den Betroffenen, die online von ihren Erfahrungen berichten, sind zahlreiche Gamer, Blogger und YouTuber. Der Tech-Blogger Bernd Jaeger vermutet, dass die Absender von der Impressumspflicht in Deutschland profitieren und mit den Betreiberdaten von Blogs und anderen Portalen ihre „Fake-Kundenlisten“ füllen. Seit 2017 dokumentiert er auf seinem Blog „Rosenblut“, welche Produkte er per Post erhält – darunter ein „Vibrations-Ei“ für Frauen, ein Wasserqualitätsmessgerät oder eine Mausefalle. Auch der E-Sportler Alexander Frisch alias „alexRr“ hat bereits fünf Pakete erhalten: „Woher die meine Adressen hatten, weiß ich nicht, es war aber nur Unbrauchbares drin und hatte nichts mit Gaming zu tun“, sagt er dem SPIEGEL.
Das Portal „OMR“ hat versucht zu rekonstruieren, welche Produkte unverlangt verschickt wurden und inwieweit auf Amazon bei diesen Produkten Bewertungen vorhanden sind, die als „verifizierter Kauf“ gekennzeichnet sind – und stieß etwa auf schlecht übersetzte Bewertungen für einen Analvibrator. „Augenscheinlich sind es besonders häufig Produkte aus dem Erotik- oder Intim-Bereich, deren Händler auf diese Weise vorgehen – vermutlich weil es dort noch schwieriger ist, echte Bewertungen zu erhalten“, so das Portal.
Nutzen, verschenken oder entsorgen
Christopher Abraham aus Solingen, der ebenfalls mehr als ein Dutzend Amazon-Pakete erhalten hatte, hat bereits versucht, sich juristisch gegen die Sendungen zu wehren. Einem Bericht des „WDR“ zufolge scheiterte er allerdings im Januar in erster Instanz vor dem Amtsgericht Solingen damit, eine einstweilige Verfügung gegen Amazon durchzusetzen, um die Paketflut zu stoppen. Der Konzern erklärte zudem, dass Hinweisen von Kunden zwar nachgeforscht werde, allerdings sei es technisch nicht möglich, unerwünschte Warensendungen zu erkennen und auszusortieren.
Der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen zufolge dürfen die Empfänger die unverlangt zugesandten Pakete der Händler behalten. „Es gibt nicht mal die Pflicht, den Absender zu kontaktieren, falls ein Herkunftsnachweis im Paket stecken sollte“, so die Verbraucherschützer. „Auch eine beiliegende Rechnung muss selbstverständlich nicht bezahlt werden.“ Problematisch könnte es einem Pressesprecher der Verbraucherzentrale zufolge nur werden, wenn ein Empfänger die Paketinhalte weiterverkauft, da er juristisch nur Besitzer, nicht der Eigentümer der Ware ist – wobei die Händler den Verkauf erst nachweisen müssten.
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