1. Mai 2017: Teilnehmer des Neonazi-Aufmarschs in Halle werden nach dem Ende der Veranstaltung von Polizeibeamten begleitet.
(Foto: picture alliance / Jens Schluete)
- In Halle steht ein Neonazi vor Gericht, weil er der Polizei zufolge Menschen verprügelt und Waffen gehortet hat.
- Für die Staatsanwaltschaft geht das aggressive Verhalten „nicht über das hinaus, was bedauerlicher Weise im Umfeld sogenannter politischer Veranstaltungen inzwischen üblich ist“.
- Dieses zaghafte Vorgehen der Justiz gegen rechte Gewalttäter lässt sich auch in anderen Fällen beobachten.
Von Annette Ramelsberger
So ein Arsenal hat man einst beim NSU gefunden: Als das SEK der Polizei die Wohnung von Carsten M. im Main-Kinzig-Kreis in Hessen durchsuchte, fanden die Beamten mehrere Pistolen, Messer, Armbrüste, sogenannte Polenböller, Schwarzpulver, mehrere Behälter mit Stahlkugeln, kurz alles, womit sich rechte Kämpfer gern bewaffnen. Dazu war die Wohnung auch noch entsprechend dekoriert: „In nahezu jedem Raum“, so notierten es die Polizisten, „befanden sich Nazi-Devotionalien.“ Mal eine SS-Flagge, nur seitenverkehrt aufgehängt, mal Aufkleber der „Division Braune Wölfe“, einem gewaltbereiteten Zusammenschluss bundesweit aktiver Neonazis. Und auch ein laminiertes Schild wurde gefunden mit dem Aufruf: „Volksgenosse, trittst Du ein, soll Dein Gruß ‚Heil Hitler‘ sein.“
Die Polizei hatte die Wohnung von Carsten M., 40, durchsucht, weil er und seine Freundin Martina H. am 1. Mai 2017 am Rande der Mai-Demonstration in Halle (Saale) – in aller Öffentlichkeit – mit einem Auto Jagd auf Menschen gemacht und sie mit Steinen beworfen hatten. Dabei wurden Gegendemonstranten verletzt, aber auch unbeteiligte Mitglieder einer Wandergruppe getroffen.
Der Fremdenhass kriecht aus allen Ritzen
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Carsten M. stoppte mit seinem Auto neben den Wanderern und schlug unvermittelt mit einem dicken Starkstromkabel auf einen Mann ein. Der erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Platzwunde. Auch einen zweiten Mann attackierte er mit dem Kabel. Carsten M. und seine Freundin trugen dabei schwarze T-Shirts mit der Aufschrift „Aryans – Support your race“. Selten, dass sich rechtsradikale Gewalt deutlicher manifestiert.
Nun beginnt am Donnerstag in Halle der Prozess gegen Carsten M. und seine Freundin Martina H. Dieser Prozess zeigt auch, wie oft und wie ausgiebig die Justiz vor allem in den ostdeutschen Ländern rechte Gewalt verharmlost und übersieht. Die zuständige Staatsanwältin in Halle hält den Fall für „typisches Alltagsgeschäft“ und hat den Fall, der nun am Landgericht verhandelt wird, darum auch nur am Amtsgericht angeklagt. Sie begründete das in einer Stellungnahme so: „Die von den Angeklagten gezeigte Aggressivität geht nicht über das hinaus, was bedauerlicher Weise im Umfeld sogenannter politischer Veranstaltungen inzwischen üblich ist.“
Dass die Angeklagten der Neonazigruppe „Aryans“ angehören und Carsten M. in seiner Wohnung Waffen und Schwarzpulver hortete, tut sie ab. Es gebe ja keine Anhaltspunkte dafür, dass Carsten M. die nationalsozialistisch orientierten Devotionalien öffentlich zeigen wollte. „Die Ausgestaltung der eigenen vier Wände ist, sofern keine Außenwirkung eintritt, in der Bundesrepublik Deutschland jedem überlassen“. Und dann schreibt die Staatsanwältin noch: „Über Geschmack muss man bekanntlich nicht streiten.“
Die Anwälte der beiden Verletzten finden: Darüber muss man streiten. Sie haben die Abberufung der Staatsanwältin verlangt. Henriette Scharnhorst und Sebastian Scharmer werfen der Staatsanwaltschaft Halle vor, die rechtsradikale Gewalttat zu verharmlosen und zu bagatellisieren. „Man kann das Gefühl bekommen, dass sich der Duktus der AfD auch in die Schriftsätze der Justiz einschleicht“, sagt Scharmer.
„Ohne Polizei wärt ihr alle tot!“
Für den Berliner Anwalt ist es nicht das erste Mal, dass gerade die für Staatsschutzdelikte zuständigen Staatsanwälte in Halle rechtsradikale Straftaten kleinreden. Auch der Überfall von drei Neonazis auf eine syrische Flüchtlingsfamilie vor ein paar Jahren wurde nur am Amtsgericht angeklagt – die Richterin dort erklärte dann von sich aus, das sei etwas fürs Landgericht. So ist es nun auch im aktuellen Fall der „Aryans“, die am 1. Mai losschlugen. Das Landgericht hat übernommen.
Immerhin war der Überfall auf die Wanderer nur eine Tat aus der Gruppe der „Aryans“, zuvor waren Dutzende von ihnen organisiert nach Halle gefahren, sie hatten mit Flaschen und Steinen auf Passanten geworfen und den Gegendemonstranten zugerufen: „Ohne Polizei wärt ihr alle tot!“
Doch solche Aussagen werden von vielen Staatsanwälten offenbar nicht ernst genommen. Immer wieder stellen Staatsanwälte die Verfahren gegen Rechte ein, die andere bedrohen – mit geradezu absurden Begründungen. Einem Mann, Mitglied in einem Kampfsportverein in Rostock, der Journalisten mit den Worten bedrohte „Die Wahrheit, oder eure Köpfe auf den Tisch“, bescheinigte eine Rostocker Staatsanwältin, harmlos zu sein. Mit einer interessanten Begründung: „Es wird damit nicht eindeutig ein zukünftiges Verbrechen angedroht, sondern eher sprichwörtlich zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung aufgefordert“, schrieb die Staatsanwältin.
Die Rostocker sind mit ihrer Sprachinterpretation nicht allein. Auch in Sachsen-Anhalt definieren Staatsanwälte Bedrohungen zum normalen Sprachgebrauch um. So schrieb eine Staatsanwältin an einen Mann, der sich nicht gefallen lassen wollte, von einem stadtbekannten Rechten als „Krimineller“ bezeichnet zu werden: „Soweit der Beschuldigte Sie oder andere Mitglieder des Bündnisses ‚Halle gegen Rechts‘ als Kriminelle bezeichnet hat, so ist dieser Begriff in die Alltagssprache eingegangen.“ Und weiter: „Missbilligung gegenüber anderem Verhalten darf deutlich gezeigt werden, es darf ehrverletzend sein, solange sachliche Kritik noch erkennbar ist.“
Antje Arndt von der mobilen Opferberatung in Halle sagt, es verletze die Opfer, wenn Angriffe auf sie von der Justiz so abgetan würden. „Sie fühlen sich alleingelassen und den Anwürfen von Rechtsradikalen hilflos ausgesetzt.“
Manchmal schafft es die Justiz sogar, das Offensichtliche nicht zu sehen. So waren vor dem Amtsgericht Merseburg im Frühjahr 2018 zwei Männer angeklagt, die in die Wohnung eines liberianischen Mannes und seiner deutschen Freundin eindrangen – angeblich, so sagten sie, weil die „Kanakenmusik“ zu laut war. Sie kamen mit Schlagstock und Schlagring und schlugen die Frau bewusstlos, verletzten den Mann und sogar den fünf Jahre alten Enkel der Deutschen, der in der Wohnung war.
Als die Polizei kam, wies sich einer der Angreifer mit einem Reichsbürgerausweis aus, dann zeigte er seinen NPD-Mitgliedsausweis. Dennoch sah das Gericht keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tat vielleicht einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatte. Es zog sich ganz formalistisch aus der Affäre: Weil die Polizei nicht das Datum auf den Ausweisen notiert hatte, könne man nicht feststellen, ob die beiden Ausweise vielleicht schon abgelaufen gewesen seien. Die beiden Männer kamen mit Bewährungsstrafen davon.
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