Wie Lehrer sich der Zukunft verweigern

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Der Digitalpakt kommt, mehr als fünf Milliarden Euro sollen für Computer und Software an die Schulen fließen. Doch Lehrer bestellen noch immer lieber kiloschwere Bücher.

DPA

Schülerinnen probieren digitales Unterrichtsmaterial aus (auf der Didacta in Köln)

„Schon vor 20 Jahren dachten wir: Jetzt geht es endlich los mit der Digitalisierung“, sagt Frank Thalhofer. Rund um die Jahrtausendwende sei über neue Unterrichtsformen und Lernsoftware diskutiert worden, über automatisierte Tests für Schüler und über Hausaufgaben im Netz.

Zwei Jahrzehnte danach hofft Thalhofer immer noch darauf, dass es bald so richtig los geht. Er ist Geschäftsführer des Cornelsen-Verlags aus Berlin, einer der drei großen Schulbuchverlage in Deutschland, die sich gemeinsam rund 90 Prozent des Schulbuchmarkts teilen. „Wir sind auf jeden Fall vorbereitet“, sagt er. Eine Aussage, die auch die anderen großen Anbieter, Klett und Westermann, unterschreiben würden.

Das Problem ist nur: Mit digitalen Unterrichtsmedien kann man bisher kein Geschäft machen – auch wenn der Blick auf Bildungsmessen wie die Didacta in der vergangenen Woche in Köln einen anderen Eindruck vermittelt. Denn hier gibt es, wie in einem Schaufenster zur Zukunft, jede Menge Schule 2.0 zu sehen. „Wir finanzieren im Grunde seit Jahren die Zukunft vor“, sagt Ilas Körner-Wellershaus, Verlagsleiter bei Klett. Die digitalen Unterrichtsmittel gebe es, die Nachfrage allerdings sei „noch ausbaufähig“.

Ein riesiger Absatzmarkt

Warum eigentlich? 8,4 Millionen Schüler gibt es in Deutschland an allgemeinbildenden Schulen, dazu kommen noch einmal 2,5 Millionen Jugendliche an berufsbildenden Einrichtungen. Unterrichtet werden sie von knapp 950.000 Lehrerinnen und Lehrern. Zusammengerechnet sind das fast zwölf Millionen Menschen.

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Auto finanzieren trotz negativer Schufa

Das ist – natürlich – ein Wirtschaftsmarkt. Stifte und Schulranzen, Schreibhefte und Schulbücher wollen an den Mann, die Frau und ans Kind gebracht werden. Umworben wird diese Zielgruppe mit 40.000 Schulbüchern. Jährlich kommen weitere 8.000 Titel neu auf den Markt, schätzt der Verband Bildungsmedien.

Ilas Körner-Wellershaus ist, neben seiner Tätigkeit für Klett, auch Vorsitzender dieses Verbands. Bei den Verlagen gebe es bereits ein breites Angebot „von angereicherten E-Books über digitale Unterrichtsassistenten bis zu Apps, Online-Diagnose-Tools, Augmented-Reality- und Virtual-Reality-Anwendungen“, sagt er.

Doch alle Schulbuchverlage lassen durchblicken: Es klafft eine riesige Lücke zwischen dem Aufwand, digitales Lehrmaterial zu entwickeln, und der Abnahmebereitschaft der Schulen. „Im niedrigen einstelligen Prozentbereich“ bewege sich der Anteil digitaler Ausgaben am Gesamtumsatz mit Schulbüchern, sagt ein Geschäftsführer vorsichtig. Unverändert, schätzt auch der Verband Bildungsmedien, „liegt der Umsatzanteil der digitalen Bildungsmedien bei nur rund fünf Prozent“. Das ist, angesichts der Vorarbeiten, ziemlich mau.

Schüler wollen, Lehrer zögern

„Natürlich sind wir ein Schulbuchverlag“, sagt Sören Schmidt, „aber was ist heute ein Buch?“ Schmidt ist Produktmanager für die Sekundarstufen bei der Westermann-Gruppe, und die Frage nach der Art des Buchs ist für ihn, seinen Verlag und die ganze Schulbuchbranche entscheidend: Was brauchen die Schulen? Gedruckte, kiloschwere Lehrbücher, sortiert nach Schulklassen und nicht selten in einer jeweils eigenen Variante für jedes einzelne Bundesland? Oder Apps und Lernsoftware, mit digital aufbereiteten Inhalten? Oder irgendetwas dazwischen?

Es kommt drauf an, wen man fragt. Viele Bildungsexperten wünschen sich mehr Digitales in den Klassenzimmern, die Schüler sowieso. Doch den Ausschlag geben letztlich die Lehrkräfte einer Schule: Sie müssen sich in ihren Fachkonferenzen für ein bestimmtes Medium entscheiden, bevor es angeschafft wird. Und da geht der Trend mehrheitlich immer noch zum gedruckten Buch.

Dass man Unterricht auch ganz anders und mit digitalen Medien besser und spannender gestalten könnte, zeigte in der vergangenen Woche der WDR. Der stellte auf der Didacta die App „1933-1945“ vor, für die Interviews mit Zeitzeuginnen geführt wurden, die den Zweiten Weltkrieg als Kinder erlebt hatten: Anne aus Köln, Vera aus London und Emma aus Leningrad erzählen eindringlich von ihren Ängsten und Erlebnissen, von Luftangriffen und den Tagen und Nächten im Bunker.

Die Kölner Abiturientin Samira Sayaz ist von der App begeistert: „Viel emotionaler und besser nachzuvollziehen“ seien die Berichte der Zeitzeugen, sagt die 19-Jährige, wenn sie nicht in einem normalen Videointerview, sondern animiert in der App erscheinen.

Im Video: WDR entwickelt Zeitzeugen-App


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Doch vielen Lehrern ist das schon zu viel. Sie fürchten, dass ihnen die Technik über den Kopf wächst, und deshalb wollen sie nicht die großen Sprünge, die bahnbrechenden didaktischen Innovationen. Schulbücher als PDF-Dateien seien noch genauso gefragt wie CD-ROMs mit Material, das dann zu Hause vorbereitet und ausgedruckt werden kann, bestätigen die Verlage.

„Die wollen oft genug nur klassische Schulmedien, aber digital angereichert – also die Lehrbuchdoppelseite, bei der dann noch ein Film oder ein interaktives Quizelement hinterlegt sind“, heißt es etwa bei Westermann: „Wir holen die Lehrer dort ab, wo sie sich auskennen: beim gedruckten Buch.“

Auch Cornelsen-Manager Frank Thalhofer spricht im Hinblick auf die Digitalisierung von einem Change-Management-Prozess, der nur in überschaubaren Etappen umzusetzen sei: „Wir brauchen kleine, überschaubare digitale Angebote.“

Unkaputtbar: Der Overheadprojektor

Diesen Markt der langsamen Digitalisierung, da sind sich die Schulbuchmacher einig, dürfe man nicht unterschätzen. „Wir haben beispielsweise ein Arbeitsheft für Medienbildung, das ganz ohne digitale Medien funktioniert“, sagt ein Westermann-Vertreter. Das sei „ein spezielles Angebot für skeptische Lehrerinnen und Lehrer.“ So richtig überzeugt ist er vom didaktischen Ansatz selbst nicht, das lässt er durchblicken. Aber es gibt offenbar eine Nachfrage für solche Bücher.

Vom Digitalpakt erwarten die Schulbuchmacher daher auch keine umwälzenden Impulse. „Wir gehen nicht davon aus, dass das jetzt wie eine Revolution einschlägt“, sagt Klett-Manager Ilas Körner-Wellershaus. Er hofft darauf, dass sich die Schulen intensiv mit Medienkonzepten auseinandersetzen, um an die Gelder des Digitalpakts zu kommen – damit nicht nur die Hardwarehersteller ein Geschäft machen.

Schulen, das wissen viele Beteiligte, sind riesige Tanker, deren Richtung sich nur ganz langsam ändern lässt. Und deren Personal beeindruckend veränderungsresistent sein kann. „Bei jeder Messe haben wir Besucher am Stand, die nach bedruckten Folien für den Overheadprojektor fragen“, sagt Ilas Körner-Wellershaus – auch noch 2019.

Wie lange die Folien noch im Verlagsprogramm bleiben? Der Manager zuckt mit den Schultern. Die Nachfrage, sagt er, sei jedenfalls noch immer da. Und ein Ende nicht abzusehen.

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