Intelligenz ist nicht angeboren

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Kinder-Universität Dresden

Schlau und schlauer: Kinder-Universität in Dresden in einem Hörsaal der Technischen Universität.

(Foto: dpa)

Forscher behaupten immer wieder das Gegenteil. Richtig aber ist: Die Gene haben kaum einen Effekt – es kommt auf die Förderung an.

Manchmal ergibt ein einziges Wort einen großen Unterschied. Carol Dweck, eine der weltweit führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Lernmotivation, erzählt dazu in Vorträgen gerne von einer Schule in Chicago, auf der Schüler nach einer schlechten Leistung anstatt der Note „nicht bestanden“ die Note „noch nicht bestanden“ bekommen. Ein minimaler Unterschied, mit großer Wirkung. Das „noch“ transportiert nämlich etwas, das sich in zahlreichen Studien mit Hunderttausenden Schülern als einer der zentralen Motoren für Lernen und Leistung erwiesen hat: die Überzeugung, dass jeder prinzipiell zu guten Leistungen fähig ist, weil Intelligenz nichts Angeborenes oder Festes ist, sondern vielmehr erst durch bestimmte Lernerfahrungen entsteht. Und diese kann man durch bessere Lernstrategien, mehr Anstrengung oder besseren Unterricht erreichen.

Schlägt man aktuell eine Zeitung auf, findet man immer wieder Beiträge von Wissenschaftlern, in denen die gegenteilige Überzeugung verbreitet wird – dass Intelligenz hochgradig vererbt sei. Aus diesem angeblichen Einfluss der Gene werden bildungsbezogene Schlüsse gezogen: „Das Verständnis, dass die DNA den wichtigsten Einfluss auf den Bildungserfolg hat, kann Eltern helfen, die Schwierigkeiten ihres Kindes zu akzeptieren“, schrieb der Genforscher Robert Plomin Anfang Oktober in der Zeit. 2015 behauptete er dort sogar: „zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können“. Und die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern schrieb unlängst in der Zeitschrift Forschung und Lehre: „Ich halte sehr viele Vorträge vor Lehrern und Lehrerinnen, und die akzeptieren inzwischen, dass angeborene Intelligenzunterschiede existieren“.

Solche Sätze haben eine fatale Wirkung auf Schüler, Eltern und Lehrkräfte. Demnach wären schlechte Leistungen naturgegeben und müssten hingenommen werden. Anstatt zu versuchen, etwas zu lernen, sollten die betroffenen Kinder dann besser lernen, mit ihrer Dummheit gut zu leben.

In den entsprechenden Beiträgen wird auf umfangreiche Studien verwiesen, die scheinbar zeigen, dass die Intelligenz zu mindestens 50 Prozent und im Erwachsenenalter sogar bis zu 70 Prozent oder mehr vererbt sei. Ein genauerer Blick hinter diese Studien eröffnet allerdings eine Welt, in der nichts so ist, wie es zunächst erscheint, und in der sich offenbar selbst Fachexperten verirren. Der Begriff der „Erblichkeit“ ist in dieser Welt sehr eigentümlich definiert, ohne dass dies bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet und in der Kommunikation nach außen kenntlich gemacht wird. Um es vorwegzunehmen: Der Blick hinter diese Studien zeigt genau das Gegenteil – dass Gene in Wirklichkeit bei der Intelligenz kaum eine Rolle spielen.

Diese sogenannten populationsgenetischen Studien halten diverse Überraschungen bereit. Die wohl größte ist: Die Studien untersuchen gar nicht, ob bestimmte Gene die Intelligenz verringern oder erhöhen. Das wird erst in jüngerer Zeit erforscht – mit ganz anderen Ergebnissen, wie wir noch sehen werden. Stattdessen ermitteln die Studien, wie stark in einer Gruppe die IQ-Werte von Individuen um den Mittelwert der Gruppe streuen – egal, wo dieser Mittelwert liegt. Die Annahme ist, dass die Streuung durch genetische Unterschiede und unterschiedliche Umwelteinflüsse erzeugt wird. Je unterschiedlicher die Gene und die jeweilige Umwelt sind, umso breiter die Streuung.

Ein logischer Fehlschluss

Durch den Vergleich bestimmter Personengruppen versucht man dann, darauf zu schließen, welchen Anteil die Gene an der Streuung haben. Etwa bei gemeinsam aufgewachsenen Zwillingen: Streuen die IQ-Werte der Eineiigen weniger als die der Zweieiigen, schließt man, das beruhe auf den Genen, weil die Umwelt pro Zwillingspaar ja gleich war. Fällt die Streuung zum Beispiel um 25 Prozent geringer aus, wird daraus errechnet, dass 50 Prozent der Streuung genetisch bedingt sind. (Da sich zweieiige Zwillinge die Hälfte ihres Genmaterials teilen, wird zur Abschätzung der Geneffekte der Wert verdoppelt.)

Worauf also fußt eine solche angebliche „Erblichkeit“ von 50 Prozent? Sie stützt sich auf nichts weiter als auf die Streuung von Intelligenzwerten in Gruppen. Schlussfolgerungen über den Einfluss von Genen auf die Intelligenz von Individuen, beispielsweise von Schülern, oder auf die durchschnittliche Intelligenz einer Gruppe, lassen sich daraus grundsätzlich nicht ziehen. Eben das ist aber der Aspekt, der Eltern, Lehrer oder Bildungsforscher interessiert. Daher ist die Aussage, „zehn Prozent sind das, was Lehrer aus einem Kind herausholen können“, auch so gefährlich. Sie ist ein klassischer logischer Fehlschluss.

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