Selber dystopisch

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Es ist in Deutschland immer noch kein Skandal, dass man mithilfe der Schufa gehindert wird, Zugang zu Wohnraum, Krediten oder Verträgen zu bekommen. Die wichtigste Tugend? Immer schön flüssig sein.

DPA

Angeblich regen sich heutzutage alle immer sehr schnell auf, aber über die Schufa nicht genug. Das Motto der Schufa lautet: „Wir schaffen Vertrauen.“ Doch das läuft nur mittelmäßig. Die Schufa schafft auch einen Haufen Probleme, nicht zuletzt, weil von ihr viele Menschen unverschuldet zu Risikofällen erklärt werden, wie vor Kurzem eine Recherche von SPIEGEL Data und BR Data gezeigt hat.

Es ist ein Problem, wenn ein privatwirtschaftliches Unternehmen eine dubiose Datengrundlage zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe Leute daran gehindert werden, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Weil infrage gestellt wird, ob sie würdig sind, einen Handyvertrag abzuschließen oder eine Wohnung zu mieten zum Beispiel. Inzwischen haben Politikerinnen und Politiker auf die Veröffentlichung der Recherche reagiert, Justizministerin Katarina Barley (SPD) hat mehr Transparenz gefordert, die Grünen im Bundestag bezeichneten die Rechercheergebnisse als skandalös. Das sind sie sicher, und zugleich völlig unterskandalisiert. Warum?

Es gäbe genug Grund zur Sorge. „Alle möglichen Unternehmen geben der Schufa alle möglichen Daten über mich und daraus berechnet die Schufa, ob ich ein guter Mensch bin. Also im kapitalistischen Sinne.“ So hat Nico Semsrott in einem Video des Projekts OpenSchufa das Vorgehen der Schufa charakterisiert, und da steckte eigentlich das meiste schon drin. Nur dass man damals noch weniger darüber wusste, wie genau die Schufa ihre Berechnungen anstellt. Während Scoring, wie die Schufa es betreibt, in anderen Ländern in öffentlicher Hand ist, darf die Schufa in Deutschland ihre Bewertungskriterien als Betriebsgeheimnis hüten, als ginge es um ein Lebkuchenrezept und nicht um ein intransparentes System, dem man als sogenannte Verbraucherin ausgeliefert ist und das für viele Menschen sehr unangenehme Konsequenzen hat.

Die Macht der Schufa wird geduldet

„Wir haben der Schufa die Erkenntnisse unserer Auswertung vorgelegt und sie um eine Stellungnahme gebeten“, hieß es in der Recherche von SPIEGEL und BR. „Die Schufa antwortete zwar in einem neunseitigen Schreiben, möchte aber nicht, dass wir daraus zitieren oder den Inhalt sinngemäß wiedergeben.“ Dieses „Vertrauen schaffen“ – man könnte es sich noch etwas effizienter vorstellen.

Die Aufregung über diese Methoden aber bleibt weitestgehend aus. Während das chinesische Sozialkredit-System hierzulande als totalitäres Horrorszenario gilt, bei dem Menschen keine Verträge abschließen können oder im Job nicht befördert werden, weil sie zu selten ihre Eltern besucht haben, Pornos geguckt haben oder bei Rot über die Ampel gelaufen sind, wird die Macht der Schufa geduldet. „Auf dem Weg in die IT-Diktatur“, so nannte der Deutschlandfunk einen Beitrag über das chinesische System. China sei dabei, ein orwellsches System zu schaffen, sagte US-Vizepräsident Mike Pence im Oktober, das ist eine wenig überraschende Aussage über ein Land, mit dem man einen Handelskrieg führt.

Nun ist aber – erstens – gar nicht so klar, ob China tatsächlich die Dystopie von der kompletten Erfassung sämtlicher Handlungen seiner Bürgerinnen und Bürger anstrebt. „There is no such thing as a national ’social credit score'“, erklärte „Foreign Policy“ kürzlich, und die „Washington Post“ schrieb, es könnte sein, dass die westlichen Medien ein verzerrtes Bild des chinesischen Systems verbreitet haben: Es sei zwar kritikwürdig, aber doch komplexer und weniger unheimlich als oft suggeriert werde.

Und zweitens ist die Bewertung, Einstufung und Sanktionierung des Verhaltens von Bürgerinnen und Bürgern etwas, das es in Deutschland eben auch gibt, wenn auch in anderem Ausmaß. Felix Lee schrieb auf „ZEIT ONLINE“ über China: „Von einem Social Credit System ist die Rede, einer Art Schufa für so gut wie alle Belange des gesellschaftlichen Lebens, einer Bürgerbewertung.“

Während in China auch soziales Verhalten bewertet wird, ist für die Schufa die wichtigste Tugend, immer schön flüssig zu sein. Allein, es reicht nicht aus. Man kann auch einfach Pech haben und trotzdem als riskanter Fall bewertet werden, aber die Angst davor scheint momentan bei den meisten Menschen nicht so groß zu sein wie die Ablehnung, sich mit den Gefahren der Armut zu beschäftigen.

Arm zu sein ist kein Verbrechen

Denn wer am meisten unter der Macht der Schufa leidet, sind arme Leute, von Armut gefährdete Leute, mal arm gewesene Leute, oder einfach durchschnittlich verdienende Leute, die mal irgendwas online shoppen wollten und dann Pech mit ihrer Kreditkarte oder ihrem Bankkonto hatten. Und dann noch all die Trottel, die sich noch keine drei Eigentumswohnungen gesichert haben vor zehn Jahren, wie jeder normale Mensch mit sechsstelligem Jahreseinkommen.

Die „FAZ Woche“ schreibt in ihrer aktuellen Ausgabe über Angst vor Armut und zeigt auf dem Titelbild ein trauriges Kind mit dreckigem Gesicht und zerrissener Kleidung. Weil – ja, weil was? Weil arme Menschen ihre Kinder vernachlässigen? Angst vor Armut gibt es unter anderem auch deswegen, weil Armut so stark stigmatisiert wird. Weil es Menschen gibt, die arme Leute verachten, sie für faul, dumm und schmutzig halten.

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Arm zu sein ist kein Verbrechen. Wenn man arm ist, passiert es manchmal, dass das Geld vom Konto schneller runtergeht als draufkommt. Man ist daran nicht unbedingt selbst schuld. Aber es ist in Deutschland immer noch kein Skandal, dass man dann mithilfe der Schufa gehindert wird, Zugang zu Wohnraum, Krediten oder Verträgen zu bekommen, als sei man am Ende doch eine Art Verbrecher, verurteilt mittels zweifelhafter Algorithmen, die genauso diskriminieren können wie Menschen. Laut der oben genannten Recherche haben jüngere Menschen schlechtere Chancen auf eine gute Schufa-Bewertung, Männer scheinen besonders riskant, eventuell auch Leute, die häufig umgezogen sind. Man kann nur hoffen, dass bei der Schufa niemand einen hohen Posten hat, der an Sternzeichen glaubt.

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