Kann Atomkraft den Klimawandel stoppen?

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Steht die Atomenergie vor einem Comeback?

(Foto: Stefan Dimitrov)

  • Ingenieure arbeiten an einer vierten Generation von Kernreaktoren, die effizienter und sicherer sein sollen. Ein neuartiger Flüssigsalzreaktor nutzt etwa statt fester Brennstäbe flüssigen nuklearen Sprit – Uran in Salzform.
  • Die neuen Kraftwerke wollen nebenbei noch das Atommüllproblem lösen. Statt neuen Abfall zu produzieren, sollen sie den alten schlucken.
  • Kernenergie-Start-Ups und einige Wissenschaftler pochen darauf, dass Kernkraft als klimaneutrale Energiequelle nötig sei, um den Klimawandel zu bremsen. Kritiker halten diese Versprechen aber für verfrüht.

Von Christian J. Meier

Vielleicht hat sich Walt Disney für seinen Film „Unser Freund das Atom“ von einem Tennisball inspirieren lassen. Ein Tennisball reicht, um 20 000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Man muss ihn dafür nur mit Uran befüllen.

Genau darum ging es Walt Disney im Jahr 1957: Die Menschheit sollte mit einem Film vom Segen der Atomenergie überzeugt werden. Das klappte anfangs gut, dann überhaupt nicht mehr. Aber seit sich der Klimawandel verschärft, ändert sich unter manchen Wissenschaftlern wieder der Blick auf die Kernenergie. Vor allem junge Forscher setzen auf sie, weil sie hoffen, dass sich die Erderwärmung damit noch stoppen lässt. Zumindest in Gegenden, in denen nur wenig Wind weht und die Solarenergie nicht ausreicht, um Öl, Gas oder Kohle zu ersetzen.

Die Renaissance der Atomkraft sollen aber nicht die alten Meiler bringen, sondern neue Reaktoren, sie zählen zur sogenannten vierten Generation. Angeblich sind die Kraftwerke genau das, was die herkömmlichen nicht mehr sind oder nie waren: sauber, wirtschaftlich effizient – und sicher.

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In Kanada hat die Firma Terrestrial Energy zum Beispiel die ersten Hürden genommen. In den nächsten Jahren will sie einen neuartigen Flüssigsalzreaktor in Betrieb nehmen. Statt fester Brennstäbe nutzt das Kraftwerk einen flüssigen nuklearen Sprit – Uran in Salzform. Dieser fließt im Kreis, ähnlich wie Wasser in einer Heizung. An einer Stelle wird das Uran in einer Kettenreaktion gespalten. Anschließend transportiert das Flüssigsalz die Hitze ab, die nun zur Stromerzeugung genutzt werden kann.

Warum Brennstäbe mühsam wechseln, wenn man Uran auch tanken kann?

Der flüssige Brennstoff soll die gesamte Energiegewinnung billiger, einfacher und flexibler machen. Statt wie früher die abgebrannten Brennstäbe aufwendig auszuwechseln, lässt sich der Brennstoff während des laufenden Betriebs nachtanken.

Der Flüssigsalzreaktor hat aber noch einen weiteren Vorteil: Er kann theoretisch auch mit Atommüll oder dem in der Natur reichlich vorhandenen Thorium betrieben werden. Das spaltbare Metall Thorium ist ein alternativer Kernbrennstoff, der in der Erdkruste zehn Mal so häufig wie Uran vorkommt. Entsprechend lang könnte das neue Nuklearzeitalter andauern.

Die kanadischen Behörden haben das Konzept von Terrestrial Energy fürs Erste bereits genehmigt. Angeblich soll es einige Investoren geben, die sich für das Modell interessieren. Die Firma ist kein Einzelfall. Das britische Unternehmen Moltex verfolgt in Kanada einen ähnlichen Plan und hat eine Zusage für einen Demonstrationsreaktor erhalten. Auch anderswo tüfteln Wissenschaftler an Prototypen für neuartige Atomkraftwerke. Unterstützt werden sie von privaten Geldgebern, die offenbar wieder bereit sind, in die unbeliebte Atomenergie zu investieren. Die amerikanische Denkfabrik Third Way schätzt, dass Atom-Start-ups allein in Nordamerika 1,3 Milliarden Dollar Risikokapital eingesammelt haben.

Die Mehrheit der weltweit in Betrieb befindlichen Kraftwerke wird noch der zweiten Generation zugerechnet. Bei ihnen handelt es sich um sogenannte Druckwasserreaktoren. Nach dem Unglück von Tschernobyl verpasste man dieser Kraftwerksreihe zwar ein Sicherheitsupdate – seitdem laufen sie unter dem Stichwort „dritte Generation“. Aber mit einer simplen Weiterentwicklung wollen sich die Kerntechniker der Zukunft nicht mehr zufriedengeben. Sie wissen, dass man der Atomkraft so kein neues Leben einhaucht.

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