Wenn die Feuerwehr ausrücken will – und keiner den Führerschein hat

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Es brennt, aber die freiwillige Feuerwehr kann nicht losfahren: Fahrermangel. In Deutschland passiert das immer wieder. Und in Zukunft wohl noch öfter.

Löschfahrzeuge der freiwilligen Feuerwehr München (Foto von 2007)

Stell dir vor, es brennt und keiner fährt hin: Was absurd klingt, droht bei Freiwilligen Feuerwehren im Land zum ernsten Problem zu werden. In Winsen südöstlich von Hamburg drohe der Feuerwehr Fahrermangel, berichtete jüngst das „Hamburger Abendblatt“. Und in Queis in Sachsen-Anhalt gab es schon einen Fall, in dem die Feuerwehr nicht ausrücken konnte, weil niemand den passenden Lkw-Führerschein hatte.

Das liegt auch daran, dass die Zahl der ehrenamtlichen Feuerwehrleute sinkt. Laut dem Deutschem Feuerwehrverband gibt es mehr als 22.000 freiwillige Feuerwehren in Deutschland. Zählten sie im Jahr 2000 noch 1.069.765 Mitglieder, lag die Anzahl 2016 nur noch bei 995.341. Was das im Alltag bedeutet, erklärt Herrmann Schreck, Vizepräsident des Verbands
  • Hermann Schreck, Jahrgang 1964, ist seit 2011 Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands. Außerdem ist er ehrenamtlicher Kreisbrandrat des Landkreises Bayreuth. Beruflich ist er im Landratsamt Bayreuth im Fachbereich Katastrophenschutz tätig.

SPIEGEL ONLINE: Herr Schreck, freiwillige Feuerwehren, die dringend Fahrer für Einsatzfahrzeuge brauchen – wie groß ist das Problem tatsächlich?

Hermann Schreck: Derzeit lässt es sich noch handhaben. Es ist der Ausnahmefall, dass ein Standort keinen Fahrer für einen Einsatz findet. Aber es wird in Zukunft schwieriger werden.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Schreck: Es gibt drei Gründe. Erstens haben viele Leute den nötigen Führerschein früher bei der Bundeswehr gemacht. Das ist heute nicht mehr der Fall. Zweitens haben einige Idealisten auch auf eigene Kosten einen Führerschein erworben. Das scheidet heute komplett aus, weil die Führerscheinklassen sehr teuer sind. Außerdem gibt es immer weniger Personen, die einen solchen Führerschein beruflich benötigen.

SPIEGEL ONLINE: Kennen Sie Fälle, in denen die Feuerwehr wegen eines fehlenden Fahrers nicht ausrücken konnte?

Schreck: Es gab bei uns im Kreis Bayreuth etwa einen schweren Verkehrsunfall auf der Autobahn, und für diesen Einsatz stand niemand mit einem entsprechenden Führerschein zur Verfügung. Ich denke, so etwas passiert innerhalb eines Monats in Deutschland schon mehr als ein-, zweimal.

SPIEGEL ONLINE: Wie geht es in solchen Fällen weiter?

Schreck: Eine andere Feuerwehr springt ein, aber das muss nicht immer standardmäßig funktionieren. Es kann ungünstigerweise zwei Standorte nebeneinander treffen, die dieselbe Problematik haben. Ehrenamtliche müssen ganz normal Geld verdienen und haben auch ein Privatleben. Da wartet nicht jeder nur auf den Alarm.

SPIEGEL ONLINE: Und was passiert dann?

Schreck: Dass niemand kann, wird nicht passieren. Grundsätzlich sollte die erste verfügbare Feuerwehr ausrücken. Wenn die nicht zur Verfügung steht, dann wird die nächste, die logischerweise weiter entfernt ist, zum Einsatz gerufen. Das ist eine Kettenreaktion bis zu einem Punkt, an dem man die Hilfsfrist nicht mehr halten kann.

SPIEGEL ONLINE: Wie lang ist diese Frist?

Schreck: In Bayern muss die Feuerwehr zehn Minuten nach Eingang des Notrufs an einer öffentlich gelegenen Einsatzstelle eintreffen.

SPIEGEL ONLINE: Die Zahl der Feuerwehrleute sinkt. Wie ist es um das Ehrenamt bestellt?

Schreck: Es hat einen schweren Stand. Nicht jeder ist noch bereit Nachbarschaftshilfe zu leisten, geschweige denn, sich darüber hinaus zu engagieren. Das ist schade, weil jeder auf dieses ehrenamtliche System angewiesen ist.

Und in Zukunft wohl mehr, denn je.

SPIEGEL ONLINE: Was können Feuerwehren tun, um mehr Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen?

Schreck: Wir machen schon sehr viel. Wir kümmern uns seit einiger Zeit auch um Kinderfeuerwehren, führen also Kinder spielerisch an das Feuerwehrwesen heran. Wir bilden Jugendliche aus, um sie später in den aktiven Dienst übernehmen zu können. Außerdem öffnen wir uns sehr stark für Migranten, und die Frauenquote ist deutlich angestiegen.

SPIEGEL ONLINE: Ist ein Engagement bei der freiwilligen Feuerwehr mit einer Vollzeittätigkeit vereinbar?

Schreck: Das ist schon eine Herausforderung. Manche Fortbildungsmaßnahmen finden tages- oder wochenweise statt. Und die Einsätze sind nicht planbar. Es kann passieren, dass jemand in einer Woche zum fünften Mal vom Arbeitsplatz weggeholt wird. Gesetzlich ist das zwar abgesichert, aber es muss natürlich mit den Arbeitskollegen und dem Betrieb vereinbar sein. Auch in der Familie muss Verständnis herrschen. Am besten geht das, wenn sich alle mit im Feuerwehrdienst einbringen.

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